Weihnachtsspendenaktion der Diakonie Hamburg-West/Südholstein

Auch für uns sammelt das Diakonische Werk. Das haben wir leider auch nötig. Noch nie waren unsere Sprechstunden so voll und die Not unserer Klient*innen so groß, wie in diesem Jahr. Besonders minderjährige und schwersttraumatisierte Menschen leiden darunter, dass behördliche und gerichtliche Verfahren Monate oder Jahre dauern, aber ihnen selbst immer kürzere Fristen gesetzt werden. 1.080 geflüchtete Menschen haben in diesem Jahr erstmals unsere Rat gesucht, 822 Verfahren betreuen wir zurzeit. Dabei haben wir seit Dezember eine Dreiviertelstelle weniger, weil eine Förderung ausgelaufen ist. Also danke für den Aufruf!

https://diakonie-hhsh.de/spenden/

„Sehnsucht nach Frieden“ – online Adventskalender der Nordkirche

Sehr gerne möchten wir auf den online-Adventskalender der Nordkirche aufmerksam machen. „Sehnsucht nach Frieden“ ist das Thema der diesjährigen Grüße zum Advent, wie jedes Jahr in Form von Geschichten statt Schokolade. Den Kalender finden Sie hier:

https://www.flucht.adventskalender-nordkirche.de/

Vom 1. Dezember bis Weihnachten möchte er Sie und Euch begleiten mit 24 Geschichten, erzählt von Geflüchteten und Unterstützer:innen, die hier mit uns in Hamburg, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern leben. Die Erzählungen wollen nicht hinter ihren Türchen bleiben. Die Sehnsucht nach Frieden drängt nach außen, sie will verändern und leben. Diese Sehnsucht in unsicheren Zeiten möchten wir sichtbar machen – und zeigen, was alles dazugehört zu wirklichem Frieden: Nicht nur das Ruhen von Waffen, sondern Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit. Die Adventszeit lebt ja von Hoffnung darauf, manchmal aller Realität trotzend, oft gegen Widerstände.

 

Inobhutnahme darf nicht vor medizinischer Altersuntersuchung beendet werden

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat eine Kostenentscheidung genutzt um klarzustellen, dass eine bloße Inaugenscheinnahme nicht ausreicht, um die vorläufige Inobhutnahme eines unbegleiteten minderjährigen Schutzsuchenden zu beenden. Gibt dieser an, minderjährig zu sein und steht nicht aufgrund von überprüfbaren Tatsachen fest, dass eine medizinische Altersuntersuchung zu dem Ergebnis kommen wird, dass bereits eine Volljährigkeit vorliegt, muss die Inobhutnahme fortgesetzt werden, bis die Altersuntersuchung erfolgt ist. Aufgrund der Überfüllung des Kinder- und Jugendnotdienstes waren in den letzten Monaten zahlreiche Minderjährige nach Inaugenscheinnahme volljährig geschätzt und in Erstaufnahmeeinrichtungen für Erwachsene verbracht worden, obwohl sie gegen die Altersschätzung Widerspruch erhoben haben. Das Verwaltungsgericht hat nun sehr deutlich gemacht, dass im Zweifelfall der besondere Minderjährigenschutz zur Inobhutnahme verpflichtet, bis eine Altersuntersuchung hinreichende Klarheit über das Lebensalter erbracht hat.

VG Hamburg, Beschluss v. 18.11.2022, 13 E 4261/22: VG_Inobhut_geschw

 

Aufnahmeprogramm Afghanistan

Seit Bekanntwerden des von der Bunderegierung geplanten Aufnahmeprogramms für besonders gefährdete Afghan*innen erreichen uns zahlreiche Anfragen von Betroffenen in Afghanistan oder von besorgten Angehörigen hier. Wir wünschten sehr wir könnten helfen, aber dazu haben wir keine Möglichkeit.

Soweit uns bekannt ist das Programm noch nicht angelaufen. Es soll eine zentrale Koordinierungsstelle geschaffen werden, die dann die Stellen und Einrichtungen bestimmen wird, die die Schutzgesuche aufnehmen sollen. Wir hoffen sehr, dass das wirklich bald geschieht.

Auf der gemeinsamen Homepage des Bundesministeriums für Inneres und des Auswärtigen Amtes für das Programm werden die Stellen bekannt gemacht werden, sobald sie eingerichtet wurden.

 

Since the admission program planned by the government for particularly vulnerable Afghans was launched, we have received numerous inquiries from persons concerned in Afghanistan and their relatives here. We wish we could help, but we don’t have any means to do so.

As far as we know, the program has not started yet. A central coordination office is to be created. It will identify the institutions which should receive the applications for protection. We hope very much that this will happen really soon.

The organisations will be announced on the joint website of the Federal Ministry of the Interior and the Federal Foreign Office for the program:Homepages des Bundes:

Homepage des Bundes

Ein verstörender Referent*innenentwurf:

Die Ampel plant, den gerichtlichen Rechtsschutz für Asylsuchende massiv zu beschränken

Wer infolge eines Asylverfahrens Schutz in Deutschland zugesprochen bekommen will, muss an Leib, Leben oder Freiheit bedroht sein – entweder durch individuelle Verfolgung (Flüchtlingsschutz), weil Folter oder Todesstrafe droht (subsidiärer Schutz) oder weil die Person in Folge eines Bürgerkrieges (subsidiärer Schutz) oder aus anderen Gründen (nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) an Leib und Leben bedroht ist. Es geht also um elementare Schutzgüter und eine fehlerhafte Ablehnung des Asylantrags hat für die Betroffenen im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Folgen. Angesichts dessen ist bereits die bestehende besondere Ausgestaltung des Asylgerichtsverfahrens bedenklich und der Tragweite der Entscheidung unangemessen: Einzelrichter*innen statt Kammerentscheidungen, verkürzte Rechtsmittelfristen von einer bzw. zwei Wochen, hohe Hürden in Eilrechtsschutzverfahren und vor allem der Ausschluss des Grundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, wenn es um die Zulassung der Berufung geht, stellen bereits heute Modifizierungen des sonst üblichen Verwaltungsrechtswegs dar, die zum Ausdruck bringen, dass es der Gesetzgeber für hinnehmbar hält, dass auch falsche Entscheidungen Bestand haben und im Zweifel vollzogen werden, wenn es der Entlastung der Gerichtsbarkeit dient. Oder anders: Es ist einfacher wegen einer verweigerten Baugenehmigung für eine Gartenlaube eine fehlerhafte Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor dem Oberverwaltungsgericht anzufechten, als in Fragen des elemtaren Menschenrechtsschutzes im Rahmen der Asylverfahren.

Entwurf_BMI

Stellungnahme ProAsyl

PM DAV und BRAK

 

Flüchtlingsarbeit in der Nordkirche

Im Video über die Flüchtlingsarbeit der Nordkirche durften wir unsere Arbeit darstellen: Den Einsatz für Geflüchtete mit den Mitteln des Rechtsstaates. Danke an Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, für die Möglichkeit und danke an Jonas Nahnsen für den tollen Beitrag! Das Video können Sie hier ansehen:

https://www.youtube.com/watch?v=Oe0DNbYDdCE

 

Abschiebungsverbot Nordmazedonien wegen Kindeswohlsgefährdung

Die Kläger mit nordmazedonischer Staatsangehörigkeit vom Volk der Roma reisten zuletzt im Jahr 2015 mit ihrer Mutter nach Deutschland ein. Das Gericht hat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bejaht. Die Kläger wären bei einer Rückkehr nach Nordmazedonien nicht in der Lage, ihr physisches oder psychisches Existenzminimum zu sichern, da es sich bei den Klägern um besonders vulnerable Jugendliche handelt. Selbst bei einer Rückkehr zusammen mit der Kindsmutter wären sie auf sich alleine gestellt, da die Kindsmutter unter einer Impulskontrollstörung leidet und wiederholt Gewalt gegen die Kinder ausübte, so dass ihr letztlich das Sorgerecht entzogen wurde. Andere unterstützungsbereite Familienangehörige waren nicht ersichtlich, und die Kläger könnten auch nicht auf staatliche soziale Einrichtungen verwiesen werden. Es sei nicht ersichtlich, dass für die Kläger, die auf eine intensive pädagogische und therapeutische Betreuung angewiesen seien, um nicht jeden Halt zu verlieren, dem Kindeswohl entsprechende Einrichtungen vorhanden seien.

Die Kläger lebten in den letzten Jahren in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen und befanden sich aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen in Mazedonien in regelmäßiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Auch aufgrund ihrer Gewalterfahrungen in Mazedonien dürften die Kläger als „Systemsprenger“ gelten. Allerdings lag zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein aktuelles fachärztliches Attest vor. Aufgrund der langen Verfahrensdauer und der Einschätzung der speziell ausgebildeten Betreuer*innen, dass eine sechsjährige durchgängige Traumabehandlung der Minderjährigen – insbesondere im Hinblick auf ihre weitere Entwicklung – nicht zumutbar sei, kam es zu dem Dilemma, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein aktuelles fachärztliches Attest vorlag. Deswegen ist es umso erfreulicher, dass das Gericht in der Gesamtschau zu dem Ergebnis einer Vulnerabilität der minderjährigen Kläger kommt.
Positiv ist auch die Einschätzung des Gerichts, dass § 58 Abs. 1a AufenthG den Klägern nicht entgegengehalten werden könne. Anders als vom BVerwG angenommen, sei der durch diese Vorschrift vermittelte Abschiebungsschutz dem des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht gleichwertig. Denn die Minderjährigen wären hinsichtlich ihrer Rechtsstellung dauerhaft im Ungewissen und jedenfalls theoretisch fortgesetzt von Abschiebung bedroht, da die Behörde eine Prüfung der Rückkehrsituation bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Minderjährigen vor sich herschieben könnte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig

VG Hamburg, U. v. 23.08.2022, 21 A 1079/16: VG HH Abschiebungsverbot Nordmazedonien2022-09-141_

Subsidiärer Schutz für serbisches Opfer sexualisierter Gewalt durch Bundesamt zu prüfen

Die Klägerin, serbische Staatsangehörige, reiste nach einem erfolglosen früheren Asylverfahren mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern 2016 nach Deutschland ein und stellte einen Asylfolgeantrag, der vom BAMF als unzulässig abgelehnt wurde. In Deutschland trennte sich die Klägerin von ihrem Ehemann und zog mit den Kindern in ein Frauenhaus.
Im gerichtlichen Verfahren legte sie detailliert dar, dass sie minderjährig zwangsverheiratet wurde und dass die Ehe eine endlose Aneinanderreihung von Misshandlungen und sexualisierter Gewalt gewesen war. Versuche, Schutz durch die Polizei zu erlangen, seien erfolglos geblieben. Auch nach einem Suizidversuch und trotz einer gerichtlichen Gewaltschutzverfügung habe der Ehemann sie weiterhin bedroht. Für ihre psychischen Leiden und die Bedrohungssituation in der Familie legte die Klägerin mehrere Atteste und Bescheinigungen vor.
Das beklagte Bundesamt erkannte zwar an, dass häusliche Gewalt gegen Frauen in Serbien verbreitet sei. Es gebe aber zahlreiche Beratungs- und Unterstützungsangebote, an die die Klägerin sich wenden könne. Überdies könne sie auf die Unterstützung ihrer teils volljährigen Kinder zählen.
Das VG Hamburg hob den ablehnenden Bescheid auf. Für die Geltendmachung einer geänderten Sach- oder Rechtslage genüge es, dass Betroffene eine Änderung relevanter Umstände glaubhaft und schlüssig vortrügen. Hierfür reiche bereits die Möglichkeit einer günstigen Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe aus. Ob der neue Vortrag tatsächlich zutreffe und die Annahme von Verfolgung rechtfertige, sei im Rahmen eines neuen materiellen Asylverfahrens zu prüfen. Lediglich, wenn ein glaubhafter Vortrag von vornherein nach jeder Betrachtung ungeeignet sei, einen Schutz zu begründen, dürfe der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt werden. Der detaillierte Vortrag der Klägerin zu Gewalterfahrungen seitens des Ehemanns begründe eine veränderte Sachlage. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes erscheine möglich. Insoweit sei der Vortrag der Klägerin schlüssig, dass der Ehemann weitere Misshandlungen oder gar ihre Tötung plane. Auch bestünden Anhaltspunkte, dass ausnahmsweise kein Schutz durch serbische Sicherheitskräfte zu erlangen sei.

Das Urteil ist zu begrüßen in der Klarheit, mit der es feststellt, dass die eigentliche Prüfung des fluchtrelevanten Vortrags auch im Folgeverfahren nicht in die Zulässigkeitsprüfung verlagert werden darf. Allzu oft findet hier in Folgeverfahren eine gründliche Sachprüfung nicht statt, wird Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag und Vorlage von Dokumenten nicht gegeben.

Vor allem aber ist hervorzuheben, dass das Gericht der Klägerin und ihren Kindern Glauben geschenkt hat. Die Vertretung von Geflüchteten aus den Ländern des Westbalkan, oft Angehörigen der Roma-Minderheit, ist eine der herausforderndsten Aufgaben des Asylrechts. Die politische Definition dieser Staaten zu „sicheren“ Herkunftsländern zieht allzu häufig eine schematische Prüfung durch BAMF und Gerichte nach sich, die an der Oberfläche bleibt. Da werden Berichte von NGOs über Diskriminierungen, mangelnde Versorgung und fehlenden Schutz durch staatliche Stellen wenig gewürdigt, ärztliche Atteste zerpflückt, arg optimistische Annahmen zur menschenrechtlichen Lage zugrunde gelegt. Die Vertretung in solchen Verfahren erfordert detaillierte Aufarbeitung von Sachverhalten unter hohem Zeitaufwand. Gut, dass hier eine ebenso detaillierte Würdigung durch das Gericht erfolgte.

VG Hamburg, U. v. 15.06.2022, 21 A 6139/16: 220615 VG HH Subsidiärer Schutz SRB

OVG erklärt Abschiebung von schwer erkrankter und hilfloser Mutter mit ihren Kindern für rechtswidrig

Das Hamburger Amt für Migration plante, Familie S. nach Serbien abzuschieben. Es handelte sich um die Eltern und drei Kinder im Alter von drei, neun und zwölf Jahren. Das Amt selbst hatte die Mutter ärztlich untersucht und dabei zwar eine Flugfähigkeit bejaht, jedoch auch festgestellt, dass schwere psychische Erkrankungen mit Depressions- und Angstsymptomen vorlagen und dass sie umfassend auf Betreuung und Lebenshilfe ihrer Familie angewiesen ist. Die Betroffene sollte nach ihrer Abschiebung am Flughafen Belgrad an einen Arzt übergeben werden.
Nach Aktenvermerken war dem Amt u.a. bekannt, dass Frau S. anlässlich einer Untersuchung in den Räumen der Ausländerbehörde sich nicht alleine ausziehen konnte, sich einnässte und nur auf Ansprache ihres Ehemannes reagierte.

Am Morgen der Abschiebung kollabierte der Vater, der daraufhin zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht wurde, wo er kurze Zeit später wieder entlassen wurde. Das Amt für Migration entschied sich in diesem Moment, die Familie zu trennen und Frau und Kinder allein abzuschieben. Es befanden sich Ärzte an Bord, am Flughafen in Belgrad jedoch wurde ihnen das Aussteigen verweigert.

Das Oberverwaltungsgericht urteilte, dass die Abschiebung rechtswidrig war. Durch die Abschiebung wurden die Betroffenen tiefgreifend in ihren Grundrechten nach Art. 6 GG (Familie) und ihrem Recht auf Art. 2 GG (körperliche Unversehrtheit) verletzt. Das Gericht entschied, dass es der Behörde aus der ex-ante-Sicht hätte klar sein müssen, dass vorliegend eine getrennte Abschiebung nicht in Betracht kommt. Frau S. war dermaßen krank und hilfebedürftig, dass die Abschiebung der Kinder mit einer Situation der Abschiebung unbegleiteter Minderjähriger im Sinne des § 58 Abs. 1a AufenthG vergleichbar ist. Der Behörde war bekannt, dass eine Abschiebung der Mutter ohne ihren Mann diese hilflos und ohne eigene Handlungskompetenz zurücklässt. In einer solchen Situation wäre es entsprechend § 58 Abs. 1a AufenthG dem Kindeswohl entsprechend darauf angekommen sicherzustellen, dass diese einem geeigneten und sicheren Aufnahmeumfeld übergeben werden. Die Zusage der serbischen Behörden über die Präsenz eines Arztes oder Psychiaters am Flughafen in Belgrad genügte diesen Anforderungen nicht. Vor der Abschiebung wären Schutzvorkehrungen zu treffen gewesen.

Frau S. war nicht nur auf eine medizinische Begleitung, sondern darüber hinaus auf eine umfassende familiäre Fürsorgebetreuung angewiesen, wie sie durch Art. 6 Abs. 1 GG auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern geschützt wird. Die Anwesenheit ihres Ehemanns wäre erforderlich gewesen, um den für die Ausländerbehörde erkennbaren Verlust ihrer Autonomie und Würde zu kompensieren. Vor der Erwägung einer getrennten Abschiebung wäre es die Pflicht der Behörde gewesen, aus Gründen des Gesundheitsschutzes eine ärztliche Stellungnahme darüber einzuholen, wie sich diese auf die einzelnen Beteiligten auswirken würde.

Das Urteil des OVG ist ein wichtiges Signal, dass Abschiebungen nicht um jeden Preis durchgeführt werden dürfen und dass Kindeswohl und gesundheitliche Aspekte ernstzunehmen sind. Die Einstellung, dass attestierte Erkrankungen (auch nach nicht erfolgreicher Geltendmachung im Asylverfahren) nicht ernstzunehmen seien und erkennbare Symptome als simuliert abzutun, kann schwerwiegende Folgen haben. Vorliegender Fall ist besonders bemerkenswert, da der Behörde selbst die krankheitsbedingte Situation bekannt war, sie sich dennoch darüber hinwegsetzte und Aspekte des Kindeswohls nicht einmal erwogen hat. Wenn durch das ordnungsrechtliche Instrument der Abschiebung selbst Grundrechte verletzt werden, geht vom Staat die eigentliche Gefahr aus und nicht durch kranke Mütter und deren Kindern, die ihrer Ausreisepflicht nicht nachgekommen sind.

Das ganze Urteil können Sie hier lesen: 20220530_OVG_Urteil für HP

Flüchtlingseigenschaft für afghanische Frauenrechtlerin

Frau T. flüchtete gemeinsam mit ihren Kindern im Jahr 2020 aus Afghanistan. Dort lebte sie ein sehr unabhängiges und emanzipiertes Leben. Sie studierte Sozialpädagogik und arbeitete als Lehrerin für eine Frauenrechtsorganisation. Hier unterstützte sie Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden waren und brachte ihnen Lesen und Schreiben bei. Ihr war es wichtig Vorbild, Mentorin und Lehrerin zu sein und den Frauen das Wissen und die Erfahrung zu vermitteln, welches ihnen ermöglichte ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Die Taliban und auch die Familien der Frauen die sie unterrichtete, wollten ihre Arbeit mit allen Mitteln verhindern. Sie und ihre Kolleginnen waren ein Dorn im Auge der patriarchalen und streng religiösen Gesellschaft. Bedrohungen und Beschimpfungen waren an der Tagesordnung und spitzten sich im Laufe der Jahre immer weiter zu. Als zwei Kolleginnen durch eine Autobombe getötet wurden und es mehrere Anschläge auf ihr Haus gab, entschloss sie sich zu Flucht. Dabei ging es ihr vor allem darum, ihre Kinder vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen.

In Deutschland beantragte sie Asyl. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte ihr Schutzbegehren ab und ordnete die Abschiebung nach Afghanistan an. Die Gefährdungslage sei nicht nachgewiesen, so heißt es in dem Bescheid. Die Schüsse auf ihr Haus durch die Taliban stellten zwar physische Gewalt dar, jedoch hätten die Taliban nicht versucht in das Haus einzudringen und ihrer habhaft zu werden. Zudem habe der Bombenanschlag auf das Dienstauto nicht ihr persönlich gegolten, sondern vielmehr der Organisation an sich. Als wir Frau T. die Entscheidung des Bundesamtes erklärten, brach sie zusammen. Zu groß war die Verletzung, dass die Gefahr in der sie im Kampf für die Rechte der Frauen schwebte, nicht gesehen und gewürdigt wurde.

Selbstverständlich haben wir geklagt und konnten nun erreichen, dass Frau T. mit ihren Kindern der Flüchtlingsschutz zuerkannt wurde. Der Richter folgte unserer Einschätzung und stellte fest, dass Frau T. in Afghanistan wegen ihrer emanzipierten Vorstellung und Lebensweise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifische Verfolgung durch die Taliban droht.

Ohne unsere Klage hätte Frau T. nicht den Schutz erhalten, den sie aufgrund ihres mutigen Einsatzes für die Rechte der Frauen verdient. Frau T. hat nun die Aufenthaltsrechtliche Sicherheit um anzukommen. Sie will weiter Deutsch lernen, um irgendwann auch hier als Lehrerin zu arbeiten.

Das Urteil können Sie hier nachlesen.

 

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