Zehn Jahre „Wir schaffen das“

Zehn Jahre ist Angela Merkels „Wir schaffen das“-Ausspruch nun her. Und statt all der Beiträge, die nun vorrechnen wollen, dass wir dies und das nicht gut genug geschafft hätten, möchten wir uns EKD-Flüchtlingsbischof Christian Stäblein anschließen. Er würdigt das enorme Engagement aller Menschen, die sich als Haupt- und Ehrenamtliche für Geflüchtete in unserer Gesellschaft einsetzen, und dankt für ihren Einsatz. Denn nur gemeinsam haben wir geschafft, was wir geschafft haben. Allzuoft leider auch gegen staatlich verordnete Hindernisse, wo wir mehr Unterstützung gebraucht hätten, um Betroffenen besser zu helfen.

Bischof Stäblein: „Unser Dank als evangelische Kirche richtet sich an die unzähligen Menschen in Nachbarschaften und Freundeskreisen, in Kirchengemeinden und Vereinen, Unternehmen, in Schulen und Kindergärten, Behörden und Rathäusern. Vom Fußballclub bis zur Freiwilligen Feuerwehr, über Jugendgruppen, Migrantenselbstorganisationen bis hin zu Einzelpersonen. Sie alle haben neue Wege beschritten und Neues entdeckt: andere Menschen, neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter, gegenseitige Stärkung – und auch ihre eigene Energie, Mut und Kompetenz. Diese gesamtgesellschaftliche Lernerfahrung möchte ich nicht missen. Alle, die sich eingebracht haben – und immer noch einbringen –, sind Teil einer großen Geschichte und zugleich Teil eines starken Deutschlands.“

Weiter nichts gut in Afghanistan

Über die jüngste Abschiebung nach Afghanistan ist viel geschrieben worden. Pro Asyl hat darauf hingewiesen, dass die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen des islamistischen Taliban-Regimes und eine katastrophale humanitäre Lage im Land eigentlich jede Abschiebung verbieten müssten – auch die von Menschen, die hier straffällig geworden sind. Denn auch die darf ein Rechtsstaat nicht sehenden Auges in Folter und Elend abschieben. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk forderte „einen sofortigen Stopp der Zwangsrückführung aller afghanischen Flüchtlinge und Asylsuchenden, insbesondere derjenigen, denen Verfolgung droht“. Auch Amnesty International und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein kritisierten den Abschiebeflug.

Auffällig ist, wie wenig diesmal über die Betroffenen in Erfahrung gebracht werden konnte. Schon bei der Ende August 2024 erfolgten ersten Sammelabschiebung nach der Machtübernahme der Taliban war das ähnlich, war wenig darüber zu erfahren, ob die Betroffenen langfristig wenigstens ein Minimum an Sicherheit vorfanden und ihr Existenzminimum sichern konnten. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man das auf offizieller deutscher Seite auch gar nicht so genau wissen will.

Stattdessen weitet man die Abschiebungen sukzessive aus (28 Männer im August 2024, schon 81 im Juli 2025) und generiert scheinbare Legitimität darüber, dass man die Betroffenen als „schwere Straftäter“ labelt. Dabei sieht das Strafgesetzbuch keine Strafe namens „Abschiebung“ vor. Und was wird kommen, wenn dem Bundesinnenminister die „schweren Straftäter“ für seine medial inszenierten Abschiebeflüge ausgehen? Wird dann erneut auf fragwürdige Kategorien wie „Identitätstäuscher“ zurückgegriffen werden, wie schon einmal unter Seehofer?

Wir sehen jedenfalls mit Sorge, dass auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Schutz für Menschen aus Afghanistan immer stärker reduziert. Gerade volljährig gewordene junge Männer, teils noch halbe Kinder, noch in der Jugendhilfe, werden in allen Punkten ihres Schutzgesuchs abgelehnt, erreichen nicht einmal mehr die Feststellung eines Abschiebungsverbots. Derzeit können engagierte Rechtsanwält*innen und Beratungsstellen solche Entscheidungen vor Gericht häufig noch erfolgreich anfechten. Doch das Bestreben scheint zu sein, das Potenzial für künftige Abschiebungen zu erhöhen. In diese Richtung weist auch, dass die Bundesregierung Konsularbeamte des Taliban-Regimes einreisen lässt. Dabei ist, um es mit einem bekannten Zitat zu sagen, auch heute nichts gut in Afghanistan. Der Forderung von Pro Asyl, jegliche direkten oder indirekten Kontakte mit den Taliban einzustellen, können wir uns nur anschließen.

 

Menschenleben retten: Aufnahmen aus Afghanistan fortsetzen!

Gerne weisen wir auf die Petition unserer Kolleg*innen von Kabul Luftbrücke hin:

 

Menschenleben retten: Aufnahmen aus Afghanistan fortsetzen!

 

Mehr als 2.600 Afghan*innen haben eine verbindliche Aufnahmezusage der Bundesregierung. Doch ihre Ausreise nach Deutschland wurde gestoppt – von der alten Bundesregierung.

Tausende Afghan*innen sitzen in Pakistan fest, wo sie der akuten Gefahr einer Abschiebung nach Afghanistan ausgesetzt sind – zurück in die Hände der Taliban. In den letzten Tagen ihrer Amtszeit ließ die ehemalige Regierung keine weiteren Flüge mehr zu und verwies auf ihre Nachfolger. Schwarz-Rot schreibt in ihrem Koalitionsvertrag, sie wolle freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, wie das für Afghanistan, beenden.


Die neue Bundesregierung muss Deutschlands Wort halten und die erteilten Aufnahmezusagen umsetzen!
Diese Menschen haben auf unseren Schutz vertraut – wir dürfen sie jetzt nicht im Stich lassen.

 

Warum ist das wichtig?

Die betroffenen Afghan*innen sind keine anonymen Zahlen. Sie sind Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Kulturschaffende und auch ehemalige Ortskräfte – mutige Menschen, die für Freiheit und Gerechtigkeit in Afghanistan eingestanden haben. Gerade deshalb sind sie jetzt in Lebensgefahr.

Viele von ihnen halten sich seit Monaten, teils seit mehr als einem Jahr, unter prekären Bedingungen in Pakistan auf, in der Hoffnung auf eine sichere Zukunft in Deutschland. Die Aufnahmezusage war für sie ein Rettungsanker, doch nun droht dieser zu reißen. Die Lage  der ehemaligen Ortskräfte aus Afghanistan in Pakistan ist prekär. Ihnen droht die Abschiebung in ihren Verfolgerstaat. Aber auch der Konflikt zwischen Pakistan und Indien verschlechtert ihre Situation. Die Sorge um ein neues Aufflammen der Kriegshandlungen zwischen den beiden Atommächten ist real.


Die neue Regierungskoalition plant, das Bundesaufnahmeprogramm zu beenden.
Doch das darf nicht auf dem Rücken derer geschehen, denen bereits Schutz zugesagt wurde. Wer eine verbindliche Zusage erhalten hat, muss auch einreisen dürfen. Alles andere wäre ein Wortbruch – und ein gefährliches Signal an alle, die weltweit für Menschenrechte kämpfen.

Außerdem handelt es sich nicht um neue Fälle, sondern um bestehende Verpflichtungen. Die Infrastruktur für Flüge und Aufnahme ist vorhanden. Es braucht keine neue Gesetzgebung, keine langwierigen Verfahren – nur den politischen Willen, zu handeln. Die geschäftsführende Regierung darf sich jetzt nicht wegducken. Menschenleben stehen auf dem Spiel.

Flüge müssen umgehend wieder aufgenommen werden – für alle Afghan*innen mit gültiger Aufnahmezusage.

Die neue Bundesregierung darf Schutzbedürftige nicht im Stich lassen. Jetzt handeln, bevor es zu spät ist!

hhttps://weact.campact.de/petitions/menschenleben-retten-bundesaufnahmeprogramm-fur-afghanistan-forsetzen

Asylverfahren aufwerten!

Carolin Dörr ist Richterin am Verwaltungsgericht Hannover. In ihrem Artikel im Verfassungsblock bezieht sie nicht nur fundiert Stellung zu der Idee der Koalitionäre, im Asylrecht vom Amtsermittlungs- zum Beibringungsgrundsatz zu wechseln; der Artikel ist gleichzeitig eine anschauliche Darstellung des Wesens des Asylverfahrens. Man würde sich wünschen, dass in Politik und Medien mehr solche Äußerungen von Praktiker*innen berücksichtig werden und weniger die selbsternannter Expert*innen.

https://verfassungsblog.de/asylrecht_untersuchungsgrundsatz_beibringungsgrundsatz/

Was plant Hamburgs rot-grüne Koalition im Bereich Migration

Viel Positives über Integration, aber Festhalten an restriktiven Maßnahmen wie dem „Dublin-Zentrum“: Das NDR Hamburg Journal berichtete über die Pläne der rot-grünen Koalition im Bereich Migration. Unsere Anmerkung dazu: Die Aufrechterhaltung der psychosozialen Angebote für Geflüchtete ist gut und wichtig, Lösungen für die belastende Situation in den Camps bietet der Koalitionsvertrag leider kaum, und das Dublin-Zentrum löst keine Probleme, sondern soll nach unserem Eindruck vor allem repressiv und abschreckend wirken

https://www.ardmediathek.de/video/hamburg-journal/was-plant-hamburgs-rot-gruene-koalition-im-bereich-migration/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS9hMTJhZDYwMy03MGEwLTRjN2MtOWJmNi05Y2Q0OTk4YjQ0YjY

SG Hamburg: Dublin-Leistungsausschluss rechtswidrig

Mit drei Beschlüssen vom 11. und 14. April 2025 hat das Sozialgericht Hamburg den Leistungsausschluss für Dublin-Geflüchtete für rechtswidrig erklärt und die aufschiebende Wirkung der eingelegten Rechtsmittel angeordnet. Die Antragsteller der drei Verfahren haben damit bis auf weiteres wieder Anspruch auf normale Asylbewerberleistungen.

Das Sozialgericht rügt, dass die angefochtenen Bescheide, mit denen die bisher gewährten Asylbewerberleistungen aufgehoben und nur noch sog. Überbrückungsleistungen („Bett, Brot und Seife“) gewährt wurden, bereits unzureichend begründet wurden. Die zuständige Innenbehörde habe „zu keinem Zeitpunkt eine Rechtsgrundlage genannt, auf die sie ihren Aufhebungsbescheid stützt“. Die Behörde erwiderte hierauf, dass ihr Bescheid lediglich die gesetzliche Rechtsfolge mitteile, dass nach einem Dublin-Bescheid des BAMF die Leistungen einzustellen seien. Das Gericht widersprach dem deutlich: Eine solche Auffassung widerspreche „jeder Anforderung an ein förmliches Verwaltungsverfahren mit entsprechender Rechtsschutzmöglichkeit für die Betroffenen“.

Zudem seien die Leistungskürzungen auch inhaltlich rechtswidrig. Denn das BAMF habe die Feststellung, dass die Ausreise in den zuständigen Dublin-Staat „rechtlich und tatsächlich möglich“ sei – die zentrale Voraussetzung des Leistungsausschlusses – auf unzureichender Grundlage getroffen. Diese Ausreise müsse innerhalb von 14 Tagen möglich sein, allenfalls dann komme der Verweis auf Überbrückungsleistungen in Betracht. Betroffene könnten aber nicht ohne weiteres in den für sie zuständigen Mitgliedstaat ausreisen. Sie hätten keinen Anspruch auf eine freiwillige Ausreise, sondern müssten vielmehr in jedem Fall abwarten, bis die Behörden der beteiligten Staaten die Überstellung organisiert hätten. In einem der entschiedenen Fälle hatte Schweden als zuständiger Mitgliedstaat eine freiwillige Ausreise dorthin sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Da die Entscheidung der Innenbehörde, die Leistungen einzustellen, auf diese Punkte nicht einging, stellte das Gericht fest, dass weiterhin Anspruch auf Asylbewerberleistungen in normaler Höhe bestehe.

Gegen die Entscheidung kann die Innenbehörde noch Beschwerde zum Landessozialgericht einlegen.

 

Entscheidungen:

SG Hamburg, B. v. 11.4.2025, S 28 AY 188/25 ER

SG Hamburg, B. v. 17.4.2025, S 5 AY 195/25 ER

SG Hamburg, B. v. 17.4.2025, S 7 AY 196/25 ER

Wir suchen zwei neue Mitarbeiter*innen zum 01.07.2025

Zum 01. Juli 2025 suchen wir zwei Rechtsanwaltsfachangestellte*n/Verwaltungsfachkräfte (m/w/d). Eine Stelle ist in Teilzeit (29,25 Stunden/Woche) unbefristet und eine Stelle ist in Teilzeit (19,5 Stunden/Woche) befristet auf zwei Jahre.

Wir freuen uns sehr über Bewerbungen bis zum 22. April 2025 an: fluchtpunkt@diakonie-hhsh.de

Telefonische Auskünfte zu den ausgeschriebenen Stellen gibt Ihnen gerne Anne Harms (E-Mail: fluchtpunkt@diakonie-hhsh.de, Telefon: 040 – 432 500 80). Bitte schicken Sie uns Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen in einem pdf mit der Bezeichnung Ihres Vor- und Nachnamens.

Hier können Sie die Stellenausschreibung lesen: Stellenausschreibung-ReFa_2975-Std_20250328

30 Jahre fluchtpunkt: Ein großer Dank

Bischöfin Kirsten Fehrs am Rednerpult der St. Pauli-Kirche
Bischöfin Kirsten Fehrs

 

 

„Der Maßstab der Gerechtigkeit ist der Schutz der Würde eines jeden einzelnen Menschen“: In diesen Satz legte Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche und Ratsvorsitzende der EKD, das, was uns bei fluchtpunkt seit nun über 30 Jahren antreibt. Zu unserem Jubiläum gab es ein Fest mit vielen Weggefährt*innen, Freund*innen und Mitstreiter*innen in der St. Pauli-Kirche. „Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“, zitierte Fehrs den Propheten Amos.

 

Diakoniepastorin i. R. Maren von der Heyde
Diakoniepastorin i. R. Maren von der Heyde

Ein Ort der Hoffnung und der Ermutigung sei fluchtpunkt, sagte die Bischöfin in ihrer Ansprache, „denn hier sind Recht und Gerechtigkeit Programm“. Ein Ort, von dem man anfänglich nicht gedacht hätte, dass er einmal auf 30 Jahre zurückblicken würde, wie Diakoniepastorin Maren von der Heyde in ihrem Redebeitrag hervorhob. Denn als fluchtpunkt 1994 gegründet wurde, als Reaktion auf die damals bereits erhitzte politische Diskussion, die mit dem Asyl-„Kompromiss“ von 1993 das Grundrecht auf Asyl faktisch aushöhlte, da reichte die erste Finanzierung gerade mal für 18 Monate. So galt denn der Dank beider Rednerinnen auch denen, die durch private Spenden und durch Bereitstellung kirchlicher Mittel den Bestand unserer Hilfsstelle bis heute ermöglicht haben.

 

 

Anne Harms, Leiterin von fluchtpunkt
Anne Harms, Leiterin von fluchtpunkt

Darauf, dass die Zeiten auch heute schwierig sind, dass auch heute der Flüchtlingsschutz erneut in Frage gestellt wird, wies unsere Leiterin Anne Harms in ihrer Begrüßung hin: Die neue Bundesregierung werde eine Partei bilden, die schon einmal im Bundestag mit den Stimmen der AfD arbeiten habe können, weil sie mit den Inhalten der AfD arbeite. Wie sie auch dem NDR Hamburg Journal gegenüber hervorhob, machen wir uns große Sorgen, dass die kommende Regierung einen massiven Sozialabbau und die Entrechtung von Geflüchteten und armen Menschen durchsetzen könnte. „Darum muss jetzt der Rechtsstaat zeigen, was er kann, und wir müssen ihn dabei unterstützen. Das ist das, was wir seit 30 Jahren tun.“ Darüber berichtete auch die evangelische Kirchenzeitung in ihrer aktuellen Ausgabe und der NDR Hörfunk in seinem aktuellen Programm.

Nach dem ernsten Auftakt und den ermutigenden Worten der beiden Rednerinnen wurde in der St. Pauli-Kirche in fröhlicher Atmosphäre gefeiert. Dafür sorgten auch Alberto Sanchez (Harfe) und Johannes Köppen (Saxophon) als „Duo saxyarpa“. Wir danken herzlich ihnen allen, der Kirchengemeinde mit Pastor Sieghart Wilm für ihre Gastfreundlichkeit, dem Bugenhagen Catering und allen, die gekommen waren. Denn nichts brauchen wir in diesen Zeiten mehr als Zusammenhalt und gegenseitige Stärkung. Damit wir auch in den kommenden Jahren den Schutz der Verfassung nicht dem Verfassungsschutz überlassen. Sondern gemeinsam eintreten für das Recht eines jeden Menschen.

Artikel HA

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