Subsidiärer Schutz für serbisches Opfer sexualisierter Gewalt durch Bundesamt zu prüfen

Die Klägerin, serbische Staatsangehörige, reiste nach einem erfolglosen früheren Asylverfahren mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern 2016 nach Deutschland ein und stellte einen Asylfolgeantrag, der vom BAMF als unzulässig abgelehnt wurde. In Deutschland trennte sich die Klägerin von ihrem Ehemann und zog mit den Kindern in ein Frauenhaus.
Im gerichtlichen Verfahren legte sie detailliert dar, dass sie minderjährig zwangsverheiratet wurde und dass die Ehe eine endlose Aneinanderreihung von Misshandlungen und sexualisierter Gewalt gewesen war. Versuche, Schutz durch die Polizei zu erlangen, seien erfolglos geblieben. Auch nach einem Suizidversuch und trotz einer gerichtlichen Gewaltschutzverfügung habe der Ehemann sie weiterhin bedroht. Für ihre psychischen Leiden und die Bedrohungssituation in der Familie legte die Klägerin mehrere Atteste und Bescheinigungen vor.
Das beklagte Bundesamt erkannte zwar an, dass häusliche Gewalt gegen Frauen in Serbien verbreitet sei. Es gebe aber zahlreiche Beratungs- und Unterstützungsangebote, an die die Klägerin sich wenden könne. Überdies könne sie auf die Unterstützung ihrer teils volljährigen Kinder zählen.
Das VG Hamburg hob den ablehnenden Bescheid auf. Für die Geltendmachung einer geänderten Sach- oder Rechtslage genüge es, dass Betroffene eine Änderung relevanter Umstände glaubhaft und schlüssig vortrügen. Hierfür reiche bereits die Möglichkeit einer günstigen Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe aus. Ob der neue Vortrag tatsächlich zutreffe und die Annahme von Verfolgung rechtfertige, sei im Rahmen eines neuen materiellen Asylverfahrens zu prüfen. Lediglich, wenn ein glaubhafter Vortrag von vornherein nach jeder Betrachtung ungeeignet sei, einen Schutz zu begründen, dürfe der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt werden. Der detaillierte Vortrag der Klägerin zu Gewalterfahrungen seitens des Ehemanns begründe eine veränderte Sachlage. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes erscheine möglich. Insoweit sei der Vortrag der Klägerin schlüssig, dass der Ehemann weitere Misshandlungen oder gar ihre Tötung plane. Auch bestünden Anhaltspunkte, dass ausnahmsweise kein Schutz durch serbische Sicherheitskräfte zu erlangen sei.

Das Urteil ist zu begrüßen in der Klarheit, mit der es feststellt, dass die eigentliche Prüfung des fluchtrelevanten Vortrags auch im Folgeverfahren nicht in die Zulässigkeitsprüfung verlagert werden darf. Allzu oft findet hier in Folgeverfahren eine gründliche Sachprüfung nicht statt, wird Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag und Vorlage von Dokumenten nicht gegeben.

Vor allem aber ist hervorzuheben, dass das Gericht der Klägerin und ihren Kindern Glauben geschenkt hat. Die Vertretung von Geflüchteten aus den Ländern des Westbalkan, oft Angehörigen der Roma-Minderheit, ist eine der herausforderndsten Aufgaben des Asylrechts. Die politische Definition dieser Staaten zu „sicheren“ Herkunftsländern zieht allzu häufig eine schematische Prüfung durch BAMF und Gerichte nach sich, die an der Oberfläche bleibt. Da werden Berichte von NGOs über Diskriminierungen, mangelnde Versorgung und fehlenden Schutz durch staatliche Stellen wenig gewürdigt, ärztliche Atteste zerpflückt, arg optimistische Annahmen zur menschenrechtlichen Lage zugrunde gelegt. Die Vertretung in solchen Verfahren erfordert detaillierte Aufarbeitung von Sachverhalten unter hohem Zeitaufwand. Gut, dass hier eine ebenso detaillierte Würdigung durch das Gericht erfolgte.

VG Hamburg, U. v. 15.06.2022, 21 A 6139/16: 220615 VG HH Subsidiärer Schutz SRB

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