Abschiebungsverbot Nordmazedonien wegen Kindeswohlsgefährdung

Die Kläger mit nordmazedonischer Staatsangehörigkeit vom Volk der Roma reisten zuletzt im Jahr 2015 mit ihrer Mutter nach Deutschland ein. Das Gericht hat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bejaht. Die Kläger wären bei einer Rückkehr nach Nordmazedonien nicht in der Lage, ihr physisches oder psychisches Existenzminimum zu sichern, da es sich bei den Klägern um besonders vulnerable Jugendliche handelt. Selbst bei einer Rückkehr zusammen mit der Kindsmutter wären sie auf sich alleine gestellt, da die Kindsmutter unter einer Impulskontrollstörung leidet und wiederholt Gewalt gegen die Kinder ausübte, so dass ihr letztlich das Sorgerecht entzogen wurde. Andere unterstützungsbereite Familienangehörige waren nicht ersichtlich, und die Kläger könnten auch nicht auf staatliche soziale Einrichtungen verwiesen werden. Es sei nicht ersichtlich, dass für die Kläger, die auf eine intensive pädagogische und therapeutische Betreuung angewiesen seien, um nicht jeden Halt zu verlieren, dem Kindeswohl entsprechende Einrichtungen vorhanden seien.

Die Kläger lebten in den letzten Jahren in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen und befanden sich aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen in Mazedonien in regelmäßiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Auch aufgrund ihrer Gewalterfahrungen in Mazedonien dürften die Kläger als „Systemsprenger“ gelten. Allerdings lag zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein aktuelles fachärztliches Attest vor. Aufgrund der langen Verfahrensdauer und der Einschätzung der speziell ausgebildeten Betreuer*innen, dass eine sechsjährige durchgängige Traumabehandlung der Minderjährigen – insbesondere im Hinblick auf ihre weitere Entwicklung – nicht zumutbar sei, kam es zu dem Dilemma, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein aktuelles fachärztliches Attest vorlag. Deswegen ist es umso erfreulicher, dass das Gericht in der Gesamtschau zu dem Ergebnis einer Vulnerabilität der minderjährigen Kläger kommt.
Positiv ist auch die Einschätzung des Gerichts, dass § 58 Abs. 1a AufenthG den Klägern nicht entgegengehalten werden könne. Anders als vom BVerwG angenommen, sei der durch diese Vorschrift vermittelte Abschiebungsschutz dem des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht gleichwertig. Denn die Minderjährigen wären hinsichtlich ihrer Rechtsstellung dauerhaft im Ungewissen und jedenfalls theoretisch fortgesetzt von Abschiebung bedroht, da die Behörde eine Prüfung der Rückkehrsituation bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Minderjährigen vor sich herschieben könnte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig

VG Hamburg, U. v. 23.08.2022, 21 A 1079/16: VG HH Abschiebungsverbot Nordmazedonien2022-09-141_

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