Viel Unruhe weiterhin um die evakuierten Afghan*innen. In der Eile der Evakuierungsaktion wurde auf viele Einreiseformalitäten verzichtet. Den meisten Evakuierten wurde erst in Frankfurt/Main ein „visa on arrival“ ausgestellt, ein Ausnahmevisum, das die Bundespolizei nach § 14 Abs. 2 AufenthG ausstellen darf. Unklarheit gibt es nun darüber, welche Rechtsposition mit diesem Visum verknüpft ist. Viele Betroffene werden offenbar derzeit in der Zentralen Erstaufnahme gedrängt, einen Asylantrag zu stellen. Manche sagen, ihnen sei vermittelt worden, sonst nicht weiter untergebracht zu werden. Wir dokumentieren im Folgenden eine vorläufige Einschätzung zu einigen der auftretenden Fragen.
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Unterbringung und Unterstützungsleistungen
Die Ankündigung, Visumsinhaber*innen würden nicht weiter untergebracht, dürfte nur bedingt richtig sein. Wer sich mit einem regulären Visum für die Dauer von 90 Tagen in Deutschland aufhält, das mit Blick auf einen humanitären Aufenthaltstitel erteilt wurde, hat Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II/XII, solange das Visum gilt. Allerdings ist in diesen Fällen keine Unterbringung in der Erstaufnahme verpflichtend. Insbesondere bei Wohnungslosigkeit dürften vielmehr die allgemeinen Hilfsangebote für Wohnungslose zuständig sein. Möglicherweise muss man also von der Erstaufnahme in eine städtische Unterkunft umziehen.
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Vom Visum in die Aufenthaltserlaubnis – oder ins Asylverfahren?
Das „visa on arrival“, das den evakuierten Afghan*innen ausgestellt wurde, ist ein humanitäres Visum. Wichtig zu wissen: ein solches Visum erlischt, wenn die innehabende Person einen Asylantrag stellt. Damit wird es mindestens erschwert, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG ( = humanitäre Aufnahme aus dem Ausland) zu bekommen (siehe aber weiter unten).
Das BAMF widerspricht auf Twitter der Darstellung, Betroffene würden zu einer Asylantragstellung gedrängt (s. Grafik). Die Asylbehörde scheint hier aber nicht für die Ausländerbehörde sprechen zu können, die die Anhörungen durchführt und den Asylantrag „nahelegt“.
Durch das BAMF bestätigt wird, was bisher schon im Gespräch war: offenbar sollen nur ehem. Ortskräfte die Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG tatsächlich bekommen, auch wenn fast allen aus Kabul Evakuierten zunächst ein Visum nach § 14 Abs. 2 AufenthG (Ausnahmevisum, „visa on arrival“) i. V. m. § 22 AufenthG ausgestellt worden war.
Es heißt von Behördenseite, das BAMF habe bereits eine Prüfung durchgeführt, für wen eine Aufnahmezusage gilt und wer folglich die Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG beanspruchen kann. Den Nicht-Ortskräften soll der Asylantrag nahegelegt werden. Das ist zumindest insoweit fragwürdig, als auf der sog. „Menschenrechts-Liste“ des Auswärtigen Amts ausdrücklich auch Personen stehen (sollen), die keine Ortskräfte waren, aber trotzdem aufgenommen werden sollen. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit in der Erteilung des Visums „nach § 22 AufenthG“ eine stillschweigende Zusicherung einer Aufnahmezusage liegt.
Die Auskunft des BAMF, „nur so“ (also durch den Asylantrag) könne nach Ablauf des Visums der legale Aufenthalt gewährleistet werden, dürfte ebenfalls fragwürdig sein. Denn bei dem erteilten Visum nach § 14 Abs. 2 AufenthG dürfte es sich um ein sog. „D-Visum“ handeln, das grds. dazu bestimmt ist, in einen längeren Aufenthalt zu münden. Bei dieser Kategorie von Visa führt ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sofern er vor Ablauf der 90tägigen Gültigkeitsdauer gestellt wird, zur fiktiven Fortgeltung des Visums, d. h. der legale Aufenthalt verlängert sich bis zur Entscheidung über den Antrag auf die Aufenthaltserlaubnis (§ 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG).
Die Frage, ob das Visum „zu Recht“ erteilt wurde, wenn die innehabende Person keine Ortskraft war, dürfte davon getrennt zu beurteilen sein. U. U. wird in diesen Fällen dann keine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die Person dürfte aber trotzdem rechtmäßig in Deutschland sein, solange das Visum gültig ist.
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Nachträglicher „Spurwechsel“?
Das BAMF bestätigt mit seiner Äußerung auch, was bisher nur mündlich mitgeteilt wurde: Offenbar sollen Personen, die bislang nicht als Ortskräfte gelten, dies aber nachträglich belegen können, auch aus dem Asylverfahren noch in die Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG wechseln können. Wie genau das gehen soll, wird nicht mitgeteilt; das Gesetz sieht einen solchen „Spurwechsel“ eigentlich nicht vor. Ohnehin ist fraglich, ob er viele Antragstellende betreffen würde. Und diese Anträge müssten dann bei den Ausländerbehörden der Bundesländer gestellt werden, die aber durch die Aussage des BAMF nicht unmittelbar gebunden sind.
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Qualifiziert beraten lassen!
Aufgrund der vielen widersprüchlichen umlaufenden Informationen empfehlen wir Betroffenen, sich möglichst anwaltlich oder bei einer Beratungsstelle beraten zu lassen. Niemand sollte sich vorschnell in ein Asylverfahren drängen lassen. Auf der anderen Seite kann ein Asylantrag im Einzelfall aber auch die „passendere“ Entscheidung sein.
Wir bitten um Verständnis, dass unsere eigenen Beratungskapazitäten begrenzt sind.