Nun liegt er also vor, der „Masterplan Migration“ von Horst Seehofer. Eine erste Bewertung ergibt: Es ist nicht alles schlecht, was darin steht. Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit (hier zeigt sich deutlich die Handschrift des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller) und der Kooperation mit Erstaufnahmestaaten bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten kann man nicht wirklich kritisieren.
Entlarvend sind vielmehr die Leerstellen des Plans. Ein ganzes Kapitel zu „Herkunftsländern“ von Geflüchteten kommt ohne jeden Bezug auf die Hauptherkunftsländer Syrien, Irak und Afghanistan aus – und damit auch ohne jeden Bezug auf die Krisen und Konflikte, die weltweit für den größten Teil der 65,8 Millionen Menschen auf der Flucht verantwortlich sind. Und ohne Vorschläge, wie man sich hier engagieren könnte. Demgegenüber transportiert der Plan an vielen Stellen das verzerrte Bild, Schutzsuchende kämen allein wegen der wirtschaftlichen Misere ihrer Herkunftsländer nach Deutschland (und man müsste sie folgerichtig nur ausreichend vergrämen, um sie vom Kommen abzuschrecken).
Ähnlich bei den ins Auge gefassten Maßnahmen zum deutschen Asylverfahren: Das Stichwort „unabhängige und flächendeckende Verfahrensberatung“ aus dem Koalitionsvertrag fehlt völlig. Ebenso vermisst man jeden Hinweis auf die europarechtlich seit 2015 vorgegebene, in Deutschland bisher nicht umgesetzte Erkennung und Versorgung besonders schutzbedürftiger Personen, wie z. B. Folteropfer und psychisch Kranke. Stattdessen wird von „Qualitätssteigerung“ geredet, ohne zu definieren, was man unter Qualität denn versteht. Da in diesem Kontext von einer „Kontrolle der Schutzquoten“ geredet wird, wird man wohl annehmen müssen, dass es eher darum geht, nicht allzu viele anzuerkennen. Dabei weisen Kirchen, Verbände und Anwaltsorganisationen seit Jahren auf die besorgniserregend schlechte Sachverhaltsklärung beim BAMF hin, die zu einer hohen Quote fehlerhafter Entscheidungen führt – 31.000 gerichtlich aufgehobene Bescheide in 2017 sprechen da für sich.
Solidarität in Europa ist auch eher Fehlanzeige. Eine „solidarische Verteilung von Schutzbedürftigen“ soll es zwar geben, aber nur „im Krisenfall“ – ansonsten wird ausgeschlossen, „die Staaten mit Außengrenze von ihrer Verantwortung freizustellen“. Mit anderen Worten: es soll alles beim Alten bleiben, die Zuständigkeit für die Aufnahme und Versorgung von Asylsuchenden will Seehofer vor allem den südlichen und östlichen EU-Staaten zuschieben. So schafft man schwerlich eine Grundlage zur Kooperation mit Italien.
Und dann gibt es noch die offen rechtswidrigen Vorschläge. Die seit Tagen diskutierten, in Teilen seit dem 19.6. praktizierten Zurückweisungen schutzsuchender Menschen an deutschen Grenzen – verstoßen laut EuGH (und wohl auch BVerwG) gegen Unionsrecht. Der Plan, mehr beschleunigte Verfahren mit reduziertem Rechtsschutz durchzuführen und während des laufenden Gerichtsverfahrens abzuschieben – verstößt laut EuGH gegen Unionsrecht. Die geforderte, angeblich „befristete“ Unterbringung von Abschiebungsgefangenen in Strafgefängnissen – verstößt laut EuGH gegen Unionsrecht.
Bemerkenswert auch die euphemistische Sprache. Haftlager in Nordafrika unter womöglich militärischer Kontrolle? „Sichere Orte“ mit einer „robusten Sicherung“. Die gezielte Abschreckung Fluchtwilliger in solchen Lagern? „Erwartungsmanagement“. Gelder an Diktatoren und Autokraten, um Flüchtenden den Weg zu versperren? „Förderung eines wirksamen Grenzmanagements in der Sahel-Region“. Der angekündigte Bruch geltenden EU-Rechts? „Nationale Handlungsfreiheit“.
Man könnte, man müsste noch vieles mehr sagen. Zu Recht wird im politischen Raum die Frage gestellt, warum eigentlich Seehofer als CSU-Vorsitzender als Urheber des Plans auf dem Titelblatt steht und ob er hier das Ministerium (mit dem BMZ: gleich zwei) für seine Parteiarbeit eingespannt hat. Zu Recht wird es als Skandal bezeichnet, dass Seehofer für diesen Plan (und die Schützenhilfe an seine bayerischen Parteigenossen) eine Regierungskrise provoziert und ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt. Was aber fast am meisten stört: dass durchgängig ein Bild von Schutzsuchenden gezeichnet wird, das deren Schutzbedarf weitgehend ausblendet, dafür behauptete Sicherheitsrisiken, angeblich „falsche“ Motive zur Flucht und eine postulierte Integrationsunwilligkeit in den Vordergrund stellt und hierauf mit Sanktionen, erzwungener Mittellosigkeit und Einschnitten in den Datenschutz sowie dem Rückfall in überwunden geglaubte Politiken (Ausdehnung von Residenzpflicht und Absenkung der existenzsichernden Leistungen) meint reagieren zu müssen. So transportiert man rechte, im Kern fremdenfeindliche Narrative. Wer die Wasser der AfD auf seine Mühlen zu leiten versucht, wird bei der nächsten Wahl sein blau-braunes Wunder erleben.
Der „Masterplan“ zum
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