Viele anerkannte Flüchtlinge haben in den letzten Monaten Post erhalten: Sie werden vom BAMF zu Befragungen oder zur Überprüfung ihrer Identität eingeladen. Diese Gespräche sollen vor allem der Überprüfung dienen, ob der Schutzstatus der jeweiligen Person zu widerrufen ist. Bislang waren diese Einladungen freiwillig, eine Teilnahme war nicht verpflichtend. Das ändert sich jetzt: Am 12. Dezember ist eine Änderung des Asylgesetzes in Kraft getreten, nach der im Widerrufsverfahren nun ähnlich weitreichende Pflichten zur Mitwirkung gelten wie im eigentlichen Asylverfahren. Betroffene können z. B. verpflichtet werden, an einer (erneuten) Anhörung teilzunehmen, Pässe und sonstige Unterlagen vorzulegen bzw. erst zu beschaffen und an einer Überprüfung ihrer Identität, u. a. durch Fingerabdrucknahme, mitzuwirken.
Bisher galt: Wenn das BAMF Grund zu der Annahme hatte, dass ein Flüchtling keinen Schutz mehr benötigt, konnte ihm dies schriftlich mitgeteilt werden. Betroffene hatten dann Gelegenheit zur Stellungnahme, bevor u. U. ein Widerruf erging. Die Gründe für den Widerruf musste das BAMF aber selbst feststellen. Mit den neuen Regelungen wird dieses Verfahren auf den Kopf gestellt: Es wird de facto ein Vorverfahren eingeführt, in dem nach Widerrufsgründen erst gesucht wird. Und liefern soll diese Gründe der geflüchtete Mensch selbst – indem er zur Teilnahme an einer weiteren Anhörung verpflichtet wird, an deren Ende womöglich aus Abweichungen zum früheren Vortrag ein Widerrufsgrund konstruiert wird.
Dies bedeutet auch, dass Menschen, die nach der Flucht aus einem Kriegsgebiet oftmals gerade erst begonnen haben, sich zu stabilisieren, erneut verunsichert und verängstigt werden. Viele der Geflüchteten sind als besonders schutzbedürftig einzustufen – ein erheblicher Teil von ihnen hat mit multiplen psychischen Folgen aufgrund der Ereignisse im Herkunftsland und den Belastungen im Rahmen einer erzwungenen Migration zu kämpfen. Der extreme psychische Stress, dem diese Menschen ausgesetzt waren, führt sehr oft zu starken Unruhezustände und hoher Anspannung, Schlafstörungen, Panikattacken und Angstzuständen. Das ganze seelische System kann nur dann schrittweise zur Ruhe kommen, wenn Sicherheits-, Kontroll- und Selbstwirksamkeitsgefühl wieder Einzug halten.
Die erneute Befragung und erzwungene Konfrontation mit den belastenden Fluchthintergründen wird die Betroffenen in maximalen Stress versetzen. Das gerade erst neu entstehende Vertrauen in staatliche (Schutz-)Strukturen, in Verlässlichkeit von Entscheidungen und in Planbarkeit von eigenen Lebensentwürfen wird damit jäh untergraben: Gefühle von Ausgeliefertsein und Ohnmacht entstehen aufs Neue.
Dies kann bei vielen Menschen, insbesondere denen, die traumatisiert und /oder psychisch erkrankt sind, eine erhebliche psychische Destabilisierung zur Folge haben. Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass Informationen unter hohem Stress anders verarbeitet werden. Erinnerungen sind dann oftmals fragmentiert, also räumlich und zeitlich nicht korrekt im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Allein vor diesem Hintergrund ist die Gefahr sehr groß, dass es bei einer erneuten Befragung zu Abweichungen zu früheren Vorträgen kommen wird.
Dies ist in solchen Fällen kein Zeichen fehlender Glaubwürdigkeit. Zu befürchten ist aber, dass es dennoch so interpretiert und als Widerrufsgrund gegen die Betroffenen verwendet wird.
Begründet wurde diese Gesetzesänderung damit, dass 2014/15 eine große Zahl von Geflüchteten im sog. vereinfachten Verfahren ohne Prüfung ihrer Asylgründe als Flüchtling anerkannt worden sei, insbesondere Syrerinnen und Syrer. Diese Behauptung trifft jedoch so nicht zu. Die Anerkennung erfolgte damals bei bestimmten Gruppen ohne mündliche Anhörung, was das BAMF entlasten sollte. Eine schriftliche Anhörung, in deren Rahmen die Betroffenen ihre Fluchtgründe darlegen mussten und z. B. auch befragt wurden, ob sie ZeugInnen von Kriegsverbrechen geworden seien, fand aber auch in diesen Fällen statt. Es ist nie ein Mensch ohne jede Prüfung in Deutschland als Flüchtling anerkannt worden.
Ein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft käme deswegen an sich nur in Betracht, wenn das BAMF Hinweise hätte, dass die im schriftlichen Verfahren vorgetragenen Gründe nicht mehr vorliegen. Stattdessen wird die Schutzbedürftigkeit und auch die Glaubwürdigkeit der Betroffenen öffentlich in Zweifel gezogen. Zu befürchten ist, dass es der Behörde vor allem darum geht, Syrerinnen und Syrern nachträglich den Flüchtlingsstatus zu entziehen, der bis Ende 2015 noch häufig zuerkannt wurde, und sie in den subsidiären Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge herunterzustufen – mit unabsehbaren Folgen z. B. für noch nicht abgeschlossene Verfahren des Familiennachzugs.
Die erneute, flächendeckende Überprüfung des gewährten Schutzes, obwohl in Syrien nach wie vor ein Bürgerkrieg tobt und ein diktatorisches Regime herrscht, bringt für die Betroffenen massive Verunsicherung mit sich. So sieht integrationsfeindliche Politik aus, zumal die Regelfrist für die Überprüfung des Schutzes nach Forderungen aus der Union von drei auf fünf Jahre verlängert werden soll. Wir raten allen Betroffenen dennoch zur Ruhe und empfehlen dringend:
1. Lassen Sie ein erhaltenes Schreiben von Ihrer Anwältin / Ihrem Anwalt überprüfen! Nur eine „Einladung“, die korrekt auf die neuen gesetzlichen Mitwirkungspflichten und die Folgen eines Verstoßes hinweist, ist verbindlich.
2. Lassen Sie sich von Ihrer Anwältin / Ihrem Anwalt zum Umgang mit einem solchen Schreiben beraten! Einer gültigen „Einladung“ wird man voraussichtlich Folge leisten müssen. Es kann aber im Einzelfall unterschiedlich sein, wie weit Sie zur Mitwirkung verpflichtet sind. Auch, ob Sie zu vollständigem Vortrag Ihrer Fluchtgründe verpflichtet sind oder sich auf Ihr früheres Asylverfahren berufen können, kann im Einzelfall verschieden sein.
3. Die Beantragung eines Nationalpasses führt zum Erlöschen des Flüchtlingsschutzes. Insbesondere diesen Schritt sollten Sie nur tun, wenn das BAMF Sie explizit dazu auffordert, und nur nach vorheriger anwaltlicher Beratung.