Gericht bestätigt: Abschiebung aus Flüchtlingsunterkunft ohne richterlichen Beschluss ist illegal!

Nächtliche Abschiebungen aus Flüchtlingsheimen, ohne dass dies zuvor ein*e Richter*in prüfen würde, werden in Hamburg seit Jahrzehnten praktiziert. Und sie sind illegal. Auch die Flüchtlingsunterkunft ist Wohnraum, auch sie steht unter dem Schutz des Grundgesetzes. Das hat heute noch einmal das Oberverwaltungsgericht Hamburg (Az. 4 Bf 160/19) bekräftigt.
In dem von der kirchlichen Beratungsstelle fluchtpunkt und Rechtsanwalt Carsten Gericke gemeinsam betriebenen Grundsatzverfahren ging es um die Abschiebung einer irakisch-kurdischen Familie in die Niederlande. Mitarbeitende der Ausländerbehörde Hamburg hatten sich dafür frühmorgens Zutritt zur Unterkunft der Familie verschafft, ohne dass dies zuvor gerichtlich angeordnet worden wäre.
Das Verwaltungsgericht Hamburg entschied bereits Anfang 2019, dass ein solches Vorgehen rechtswidrig ist: Auch Flüchtlingsunterkünfte sind „Wohnung“ im Sinne des Grundgesetzes und als solche unverletzlich. Wollen staatliche Behörden Menschen aus ihren Wohnungen holen, dann ist dies laut Bundesverfassungsgericht eine Durchsuchung, die nach Art. 13 Grundgesetz erst nach vorheriger richterlicher Prüfung erfolgen darf. Der sogenannte Richtervorbehalt dient dem Schutz der Grundrechte der Betroffenen und soll insbesondere sicherstellen, dass nicht willkürlich gehandelt wird. Das Urteil des Verwaltungsgerichts hatte die Freie und Hansestadt Hamburg angefochten und verlor nun auch in der Berufungsinstanz. Die Revision wurde nicht zugelassen.
„Wir freuen uns, dass das Oberverwaltungsgericht betont, dass Geflüchtete den gleichen Grundrechtsschutz genießen wie jeder andere Mensch“, kommentiert Anne Harms, Leiterin von fluchtpunkt. „Gleichzeitig halten wir für einen Skandal, dass die Stadt nicht bereits das Urteil von 2019 zum Anlass genommen hat, ihre Praxis umzustellen. Zahlreiche Menschen sind also illegal aus ihren Unterkünften abgeholt worden – man hat sehenden Auges das Recht gebrochen. Erst heute morgen war eine weitere Familie betroffen, die wir begleiten. Der Familienvater liegt nun mit einem psychischen Zusammenbruch in der Klinik.“
Harms fordert von Innensenator Grote umgehende Schritte zur Umsetzung des Urteils. „Abschiebungen bei Nacht und Nebel sollte es eigentlich gar nicht geben. Sie halten Menschen unnötig in Angst und verletzen ihre Würde. Eines Rechtsstaats ist das nicht würdig. Mindestens muss aber der Grundrechtsschutz der Betroffenen sichergestellt werden. Dazu muss es klare Anweisungen an die Ausländerbehörden geben, dass ein richterlicher Beschluss eingeholt werden muss und unter welchen Voraussetzungen dies nur geschehen darf. In anderen Bundesländern, z. B. NRW, ist dies seit Jahren Normalität. Grundrechtliche Mindeststandards müssen auch das Handeln unserer Behörden prägen.“

Das Urteil betrifft zwar die Rechtslage vor Erlass des „Hau-Ab-Gesetzes II“ vom Herbst 2019. Mit diesem wurde eine Befugnis zum Betreten und Durchsuchen von Flüchtlingsunterkünften gesetzlich geregelt. Das Durchsuchen soll seitdem eines Gerichtsbeschlusses bedürfen, das reine Betreten zur Abholung nicht. Da letzteres aber den gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, wenn man der zitierten Linie des Bundesverfassungsgerichts folgt, dürfte der heutigen Entscheidung auch unter der neuen Gesetzeslage weiter rechtsschützende Bedeutung zukommen.

Über die Grundsatzentscheidung haben u. a. der NDR. die Hamburger Morgenpost, die Süddeutsche Zeitung,  die WELT, Focus und das Portal hamburg.de berichtet.

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