Wachsende Kritik an Afghanistan-Abschiebungen

Zunehmend regt sich Widerstand in den Bundeslaendern gegen Abschiebungen nach Afghanistan. Nach Schleswig-Holstein, wo ein dreimonatiger genereller Abschiebestopp verhaengt wurde, sind auch Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zumindest teilweise von der Linie abgerueckt, am Hindukusch sei es sicher genug, um dorthin abzuschieben. Im Namen von gruenen Politikern aus mehreren Bundeslaendern hat der baden-wuerttembergische Ministerpraesident Winfried Kretschmann sich an den neuen Bundesaussenminister Sigmar Gabriel gewandt mit der Aufforderung, die Sicherheitslage in Afghanistan erneut zu pruefen.

Anlass sind Berichte des UNHCR und der UN-Mission zum Schutz von Zivilisten in Afghanistan (UNAMA). UNHCR hatte in einer Stellungnahme an die Bundesregierung vom Dezember betont, ganz Afghanistan sei von einem kriegerischen Konflikt erfasst. Die Annahme der Bundesregierung, es gebe dort „sichere Regionen“, in die man abschieben koenne, entspreche nicht der Sichtweise von UNHCR. Die juengsten Zahlen von UNAMA zeigen zudem, dass die Zahl ziviler Kriegsopfer in Afghanistan 2016 den hoechsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht hat. UEber 11.000 Menschen wurden getoetet oder verletzt.

Auch die Kirchen haben sich in deutlichen Worten gegen die Abschiebungen nach Afghanistan gewandt. „Kein Mensch darf in eine Region zurueckgeschickt werden, in der sein Leben durch Krieg und Gewalt bedroht ist. Die Sicherheit der Person muss stets Vorrang haben gegenueber migrationspolitischen Erwaegungen“, sagte Manfred Rekowski, Praeses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Vorsitzender der Kammer fuer Migration und Integration der EKD in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Fluechtlingsbeauftragten der katholischen Bischofskonferenz, dem Hamburger Erzbischof Dr. Stefan Hesse.

Die Kurskorrektur ist dringend notwendig und muss weitergehen. Die 77 jungen Maenner, die mit bisher drei Abschiebefluegen nach Kabul gebracht wurden, stecken dort ohne Perspektive fest. Zu den am schlimmsten Betroffenen gehoert der Hamburger Hindu Samir Narang, abgeschoben zusammen mit sechs anderen am 14.12.2016. In einem Interview mit dem NDR berichtete er kurz nach seiner Abschiebung von seiner Situation. Er ist vorlaeufig im Hindu-Tempel von Kabul untergekommen, teilt sich dort ein kleines ungeheiztes Zimmer mit drei anderen Maennern, und obwohl er erkrankt ist, kann er keine Medikamente kaufen, weil er kaum noch Geld hat. Nichtsdestotrotz beteiligte sich Hamburg auch am zweiten und dritten Abschiebeflug und liess am 23.1. erneut drei, am 22.2. zwei Menschen abschieben.
Sorgen machen muss man sich ebenso um Shams A., einen jungen Mann, der aus Bayern abgeschoben wurde, obwohl er massive psychische Probleme hat und verschiedene Psychopharmaka einnehmen muss. Ihm wurden bei Ankunft am Flughafen Kabul 50 US-Dollar in die Hand gedrueckt; dann wurde er ins Ungewisse entlassen und hofft nun ohne Unterkunft und aerztliche Versorgung auf Unterstuetzung aus Deutschland.

Wir hoffen, dass auch der Hamburger Senat die juengsten Informationen zur Lage in Afghanistan nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern seine Linie in der Abschiebepolitik aendert. Die rot-gruene Koalition hat im Januar den Versuch unternommen, den Kreis der Abzuschiebenden klarer einzugrenzen als bisher. Das ist besser als nichts, aber in der aktuellen Lage sollte man keinen Menschen zur Rueckkehr in ein Land zwingen, das von Konflikten geschuettelt wird und Hunderttausende Binnenfluechtlinge nicht versorgen kann. Afghanistan ist nicht sicher.

Links

Anmerkungen von UNHCR zur Sicherheitslage in Afghanistan, Dezember 2016

Gemeinsame Kritik der Kirchen an Abschiebungen nach Afghanistan

Hinweise der Hamburger Innenbehoerde zur aufenthaltsrechtlichen Perspektive der in Hamburg lebenden afghanischen Staatsangehoerigen

Interview mit Samir Narang im NDR

Pressebericht zur Abschiebung von Shams A.

Pro Asyl: Recherche zu den Betroffenen des ersten Abschiebefluges vom 14.12.2017

United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA): Zahl ziviler Opfer erreicht 2016 Rekordhoch

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