Aktueller Bericht der Abschiebungsbeobachterin: Abschiebungen um jeden Preis?

Der jüngste Jahresbericht der Abschiebungsbeobachtung Hamburg wirft ein Schlaglicht auf die  Konsequenzen der sogenannten „Rückführungsoffensive“, die der Öffentlichkeit in der Regel verborgen bleiben. Die Abschiebungsbeobachterin der Diakonie, Merle Abel, hat zwischen Anfang März 2023 und Ende Februar 2024 rund 160 Abschiebungen am Hamburger Flughafen begleitet, etwa ein Drittel davon stuft sie als problematisch ein.

Insbesondere im Umgang mit Kindern und Jugendlichen sowie psychisch erkrankten Personen werden häufig problematische Szenen beobachtet. So wurde beispielsweise einer Person drei Tage nach einem Suizidversuch eine „fit to fly-Bescheinigung“ unter Ausschluss einer Suizidalität ausgestellt. Außerdem wurde mehrmals beobachtet, dass Personen in psychischen Krisen durch Begleitärzt:innen keine angemessene Untersuchung bzw. Versorgung erfuhren, da ihnen unterstellt wurde, zu simulieren, sowie ein Fall von Zwangsmedikation dokumentiert.

„Deshalb appellieren wir an die zuständigen Behörden, die besondere Situation psychisch erkrankter Menschen im Abschiebungsprozess zu berücksichtigen“, sagte der Leiter des Arbeitsbereichs Migration und Internationales der Diakonie Hamburg, Haiko Hörnicke. Im Sinne der Bestimmung der entsprechenden Dienstanweisung „keine Rückführung um jeden Preis“ müssen auch Abschiebungen von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.

In Bezug auf den Umgang mit Kindern und Jugendlichen wird die regelmäßig erfolgende Abholung zur Nachtzeit problematisiert, die zu starken Ängsten, Stress und nachhaltigen Traumata führen kann, da die Kinder von fremden uniformierten Personen aus dem Schlaf und nachfolgend aus ihrem vertrauten Lebensumfeld gerissen werden. Außerdem werden die fehlende Betreuung der Kinder während des Vollzugs, das Miterleben von Zwangsmaßnahmen, Gewalt und Fesselungen gegenüber den Eltern sowie Familientrennungen als weitere Problemschwerpunkte in Bezug auf das Kindeswohl hervorgehoben. Hörnicke betonte daher: „Die UN-Kinderrechtskonvention gilt für alle Kinder! Deshalb sollte die Achtung des Kindeswohls an erster Stelle stehen – auch im Abschiebungsvollzug.“

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 1479 Personen aus Hamburg abgeschoben, fast doppelt so viele wie im Jahr 2022 und so viele wie seit 2016 nicht mehr.

Auch unsere Beratungspraxis zeigt: Der politische Druck, die Abschiebezahlen zu steigern, führt in der Praxis zu einer zunehmenden Entmenschlichung der hier schutzsuchenden Menschen und letztlich zu Abschiebungen um jeden Preis – unter Inkaufnahme von Familientrennungen, Kindeswohlgefährdungen, erneuten Traumatisierungen und Suizidgefahren. Es bleibt zu wünschen, dass diese rechtsstaatlich und menschenrechtlich ausgesprochen bedenklichen Entwicklungen der Abschiebepraxis durch diesen eindrücklichen Bericht Eingang in die öffentliche Debatte finden und zu einem Umdenken in Bezug auf die reflexhafte Forderung nach mehr Abschiebungen anregen.

Bericht: https://www.diakonie-hamburg.de/export/sites/diakonie/.galleries/downloads/Fachbereiche/ME/Diakonie-Hamburg-Abschiebungsbeobachtung-Jahresbericht-2023.pdf

Diakonie-Pressemeldung: https://www.diakonie-hamburg.de/de/presse/pressemitteilungen/Abschiebungen-von-Kindern-und-psychisch-Erkrankten-brauchen-besondere-Begleitung-Diakonie-Abschiebungsbeobachtung-legt-Jahresbericht-vor/

DPA-Meldung: https://www.zeit.de/news/2024-04/09/diakonie-mahnt-menschlichen-umgang-bei-abschiebungen-an

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